Mit der Giulietta gelang Alfa Romeo ein echter Produktionssprung: Der von Franco Scaglione entworfene und in Zusammenarbeit mit der Karosserieschmiede Bertone gebaute Giulietta Sprint ist ein Coupé mit essentiellen und persönlichen Linien, kraftvoll, schnell und... schön.
Im August 1952 zeichneten sich bereits die strukturellen Merkmale des künftigen Alfa ab. Es ging darum, die Produktpalette um ein Modell zu erweitern, das sich unterhalb des „1900“ positionieren sollte: Frontmotor und Hinterradantrieb. Ein erster Prototyp mit 1100er-Motor und Coupé-Karosserie kam ein knappes Jahr später auf die Straße.
Die Entwicklung des neuen Alfa Romeo war eng mit der des 1900 verbunden. Das Werk in Portello, in dem die Limousine montiert werden sollte, war zwar für die Fließbandproduktion ausgelegt, erlaubte aber noch keine nennenswerte Tagesstückzahl: Die einzelnen Arbeitsschritte mussten daher effizienter gestaltet werden. Der Generaldirektor von Finmeccanica (und spätere Alfa-Vorsitzende), Giuseppe Luraghi, heuerte den österreichischen Ingenieur Rudolf Hruska an, der bereits die Umstellung der Werke in Deutschland auf die Serienproduktion organisiert hatte.
Der Einsatz von Hruska erwies sich als die richtige Entscheidung, denn Anfang 1954 hatte man die Mechanik bereits weit entwickelt und verfeinert, der Hubraum war auf 1.290 ccm angewachsen und die Doppelnockenwelle lieferte 65 PS. Von der Karosserie gab es jedoch nur ein paar Skizzen und noch nicht genauer umrissene Prototypen. Gleichzeitig meldete sich aber bereits schon ein Interessent: Finmeccanica verkündete die Auslieferung einiger Exemplare an ausgewählte Aktionäre.
Hruska unterbreitete den scheinbar einzigen Lösungsvorschlag: Ein externer Karosseriebauer sollte eine kleine Serie von Coupés bauen, die an die Aktionäre ausgeliefert werden, während die Fertigstellung der Limousine ausstand. Zuerst war man skeptisch, doch schließlich stimmte das Management von IRI, das Alfa Romeo kontrolliert, dem Vorschlag zu. Drei Karosseriebauer legten ihre Entwürfe vor: Boneschi, Boano und Bertone. Bertone, unter der Federführung von Franco Scaglione, schlug ein kompaktes und wohlproportioniertes Auto mit essentiellen, raffinierten und sportlichen Linien vor. Dies war die Geburtsstunde des Alfa Romeo Giulietta Sprint.
Die ersten Vorserienexemplare bestätigten den 1,3-Liter-Motor mit zwei Nockenwellen, einem Vergaser und 65 PS, Vierganggetriebe, Hinterradantrieb, Einzelradaufhängung vorn, starre Hinterachse und Trommelbremsen an allen vier Rädern. Die Kabine mit dem Getriebe am Lenkrad bot vorne ein gutes Platzangebot und hinten ein kleines Sofa für zwei „Behelfssitze“, wie es damals hieß. Insgesamt wurde der Wagen sehr leicht: Durch den massiven Einsatz von Aluminiumlegierungen in der Mechanik bleibt der Zeiger der Waage bei 880 kg stehen. Daher ist der Giulietta Sprint bissiger und schneller als viele Coupés mit größerem Hubraum und in einem höheren Segment.
Der Giulietta Sprint wurde erst in Portello und dann auf dem Turiner Automobilsalon vorgestellt. Er übertraf sämtliche Erwartungen und wurde umgehend zum Verkaufsschlager. Seine Linien und Leistungen machten ihn zu einem äußerst begehrten Modell, und er gab den Anstoß für einen wahren „Sprint“, aus dem ein Jahr später dann die Limousine hervorgehen sollte.
Anlässlich der Osterfeiertage 1954 wurde in den Mauern des Werks in Portello der Schleier über einer Reihe von Alfa Romeo-Neuheiten gelüftet: Neben Autoritäten, prominenten Fahrern und der Fachpresse passierten zu diesem Anlass auch einige geladene Gäste die Tore der Via Gattamelata. Ein Hubschrauber landete direkt vor dem Eingang, und ihm entstiegt ein Paar in historischen Kostümen, gewandet als Romeo und Julia. So wurden sie enthüllt: der neue Giulietta Sprint zweifellos der Protagonist, der 1900 Super Sprint, der 1900 Super und die Romeo-Familie von Transportern und Bussen, die das kleine Spektakel mit Shakespeares Veroneser Liebespaar vervollständigten. Der Segen des Kardinals, des Erzbischofs von Mailand, Ildefonso Schuster, durfte natürlich nicht fehlen. Der originelle Werbegag erregte sofort großes Aufsehen und wurde sogar in den Kinos gezeigt, wo mehrere Wochenschauen über das Ereignis berichteten.
Die offizielle Präsentation fand dann wenige Wochen später auf dem Turiner Autosalon am 21. April 1954 statt. Auf den Ständen von Alfa Romeo waren zwei Giulietta Sprint zu sehen, die sich in einigen Details unterschieden: der eine im charakteristischen Alfa-Rot, der andere in einem originellen Himmelblau, das die Eleganz der Linien vielleicht noch mehr betonte.
Der Erfolg war sofort so groß, dass Alfa und Bertone sich vor einer unerwarteten Flut von Bestellungen in Sicherheit bringen mussten, die nach wenigen Tagen unvermeidlich gestoppt werden mussten. Die Produktion begann mit dem Karosseriebau in Turin und wurde später nach Portello verlegt, wo die „Vermählung“ mit den Alfa-Mechanikern stattfand. Vor der Markteinführung rechnete man mit 100 bis 200 Fahrzeugen pro Jahr: eine Zahl, die schnell übertroffen wurde. Der unerwartete Erfolg war sicherlich auf die besonders gelungene sportliche Linienführung zurückzuführen, aber auch auf die Leistung, die der Giulietta Sprint mit einer Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h versprach.
Bertone holte sich Karosseriebauer seines Vertrauens ins Haus, um die Produktion zu steigern. Der Erfolg wurde in gewisser Weise noch durch die Wartezeiten verstärkt, die den inzwischen als „Liebling Italiens“ bezeichneten Wagen noch mehr zu einem Objekt der Begierde machten, das von einem immer breiteren Publikum geliebt und ersehnt wurde.
1955 präsentierte man die Limousine, die das elegante Design des Coupés aufgriff und damit die Umstrukturierung der Serienproduktion abschloss: Der Erfolg der Limousine wurde u.a. durch den Erfolg des Giulietta Sprint begünstigt, welcher ein Jahr zuvor auf den Markt gekommen war.
1956 wurde der Giulietta Sprint Veloce vorgestellt, der eine neue Tradition bei Alfa begründete: Er war hundert Kilo leichter, leistete bis zu 79 PS und seine Höchstgeschwindigkeit stieg auf über 170 km/h. Der „Veloce“ flankierte den Giulietta Sprint eher, als dass er ihn ersetzte, denn er richtete sich vor allem an sportliche Kunden, die mit ihm an Wettbewerben teilnehmen konnten. Für diejenigen, die ein eleganteres, aber leistungsstarkes Auto suchten, wurde 1957 eine seltene „Confortevole“-Ausstattung für den Veloce entwickelt.
1958 entstand die zweite Baureihe. Der Giulietta Sprint erhielt einen neuen Kühlergrill, der mehr an die Limousine erinnerte, und eine neue Innenausstattung mit dem sportlicheren Cloche-Getriebe. Der Veloce gewinnt an Leistung und erreicht mit 96 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 174 km/h. 1962, nach der Einführung des Alfa Romeo Giulia mit 1600er Motor, wird der Giulietta Sprint von dem neuen Alfa Romeo Giulia 1600 Sprint abgelöst, der die Karosserie mit einigen Änderungen wie größeren Rückleuchten und Scheibenbremsen vorne übernimmt. Um der Nachfrage gerecht zu werden, wurde 1964 der 1300 Sprint wieder ins Programm aufgenommen, d.h. der Giulietta Sprint mit der Karosserie des Giulia Sprint, aber mit dem 1300er Motor.
Im Laufe der Jahre entstanden neben dem Sprint weitere wahre Kunstwerke der besten italienischen Karosseriebauer. Franco Scaglione entwarf für Bertone den sehr originellen Giulietta Sprint Speciale, oft besser bekannt als Giulietta SS, gefolgt von einem Update des Giulia SS. Der Giulietta SZ von Zagato war vor allem für den sportlichen Einsatz gedacht und wurde in zwei Serien produziert. Ein Kapitel für sich waren der Giulietta Spider und der Spider Veloce, die später von Pininfarina zur Giulia umgebaut wurden.
Für Alfa Romeo war die Giulietta der eigentliche Wendepunkt: die Geburtsstunde einer großen Automobilmarke. Elf Jahre lang wurde die Giulietta in verschiedenen Versionen produziert, insgesamt 177.513 Stück, davon 24.084 Sprint-Modelle.